Stimmabgabe für Türkei-Referendum startet

In Österreich und weiteren Ländern beginnt am Montag die Stimmabgabe zur umstrittenen Verfassungsreform in der Türkei. Hierzulande können 108.561 türkische Staatsbürger in diplomatischen Vertretungen in Wien, Salzburg und Bregenz abstimmen.

Mit dem Verfassungsreferendum am 16. April will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Einführung eines Präsidialsystems durchsetzen. Der Streit über Wahlkampfauftritte türkischer Politiker hatte in den vergangenen Wochen die angespannten Beziehungen zwischen Europa und der Türkei weiter belastet. Erdogan sprach nach der Absage mehrerer Veranstaltungen von „Nazi-Methoden“.

In Österreich, Deutschland, der Schweiz, Belgien, Dänemark und Frankreich können die Wahlberechtigten in ausgewiesenen diplomatischen Vertretungen von Montag an bis zum 9. April abstimmen - oder bis zum 16. April an bestimmten Grenzübergängen zur Türkei. In Österreich ist die Stimmabgabe in Wien, Salzburg und Bregenz möglich.

Bei letzter Wahl klare Mehrheit für AKP

Weltweit sind etwa 2,97 Millionen im Ausland lebende Türken stimmberechtigt. Rund drei Viertel von ihnen leben in den fünf EU-Mitgliedsstaaten Niederlande, Frankreich, Belgien, Deutschland und Österreich. Bei der jüngsten Parlamentswahl im November 2015 kam Erdogans islamisch-konservative AKP hierzulande auf 69 Prozent der Stimmen, verglichen mit 49,5 Prozent in der Endabrechnung. Die Wahlbeteiligung unter den Türken in Österreich lag bei 40,6 Prozent.

Teilnehmer bei Start für Referendum Türkei in Wien

APA/Helmut Fohringer

Stimmberechtigte am Montag in Wien

Schwere diplomatische Verwicklungen

In den Niederlanden führte die Ausweisung der türkischen Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya, die trotz diplomatischer Vorwarnung, dass sie nicht einreisen dürfe, bei einer Wahlkampfveranstaltung auftreten wollte, für schwere diplomatische Verwicklungen. In Deutschland musste der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu einen geplanten Auftritt in Hamburg kurzfristig ins Konsulat verlegen. Meinungsforscher sagen dem Referendum einen knappen Ausgang voraus. Deshalb zählen die Stimmen der Auslandstürken besonders.

Debatte über Doppelstaatsbürgerschaft

Zuletzt hatten das Türkei-Referendum und die Frage, wie mit dem Hineintragen des Wahlkampfs in die türkischen Communitys auch in Österreich politisch umgegangen werden soll, für heftige Debatten gesorgt. Im Zuge der Debatte wurde auch diskutiert, dass Tausende türkischstämmige Österreicher weiterhin die türkische Staatsbürgerschaft haben. Die Grünen forderten eine Amnestieregelung für Betroffene, die von der Regierung abgelehnt wurde. Auch der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz sprach sich gegen Doppelstaatsbürgerschaften aus.

Übersichtskarte Europa mit türkischen Wahlberechtigten

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/dpa/Türkische Wahlbehörde

Präsident und Regierungschef in einem

Mit der Verfassungsänderung, über die abgestimmt wird, will Erdogan ein Präsidialsystem einführen. Geht die Verfassungsänderung, für die eine einfache Mehrheit bei der Abstimmung nötig ist, durch, ist der Präsident künftig nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Der Präsident darf künftig einer Partei angehören.

Er wird nicht mehr vom Parlamentspräsidenten, sondern von einem Vizepräsidenten vertreten. Der Präsident ist für die Ernennung und Absetzung von einer von ihm selbst zu bestimmenden Zahl von Vizepräsidenten, von Ministern und von allen hochrangigen Staatsbeamten zuständig. Das Parlament hat kein Mitspracherecht.

Gesetze per Dekret

Der Präsident kann in Bereichen, die die Exekutive betreffen, Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, die mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger in Kraft treten. Eine Zustimmung durch das Parlament ist nicht nötig. Dekrete werden unwirksam, falls das Parlament zum jeweiligen Bereich ein Gesetz verabschiedet. Gesetze darf (bis auf den Budgetentwurf) nur noch das Parlament einbringen.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan

APA/AP/Türkische Präsidenschaft

Die Verfassungsänderung würde Erdogan als Präsident weitreichende Vollmachten geben

Parlament und Präsident werden künftig am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren vom Volk gewählt, und zwar erstmals am 3. November 2019. Die Wahl zur selben Zeit erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei des jeweiligen Präsidenten über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Die Zahl der Abgeordneten steigt von 550 auf 600. Parlamentarische Anfragen gibt es nur noch schriftlich an die Vizepräsidenten und Minister.

Koppelung bei vorzeitiger Neuwahl

Neuwahlen können sowohl das Parlament als auch der Präsident auslösen, im Parlament ist dafür eine Dreifünftelmehrheit notwendig. In beiden Fällen werden sowohl das Parlament als auch der Präsident zum gleichen Zeitpunkt neu gewählt - unabhängig davon, welche der beiden Seiten die Neuwahl veranlasst hat. Das dürfte vorzeitige Neuwahlen weniger wahrscheinlich machen.

Die Amtszeiten des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt. Die Regierungspartei AKP hat aber eine Hintertür eingebaut: Sollte das Parlament in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten Neuwahlen beschließen, kann der Präsident noch einmal kandidieren.

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