Österreichweit 1.267 Menschen abgängig

Ganze 10.000-mal ist im Vorjahr in Österreich Vermisstenanzeige erstattet worden - rund 27-mal pro Tag. Großteils handelt es sich um Minderjährige. Generell bleiben nur sehr wenige Fälle ungelöst.

Mit Stichtag 1. Mai waren bundesweit insgesamt 1.267 Personen abgängig gemeldet - der Großteil davon war männlich und mit 746 Kindern und Jugendlichen minderjährig. Mehr als die Hälfte der vermissten Menschen - zuletzt 762 - stammten aus Nicht-EU-Staaten, hieß es am Mittwoch bei einem Pressegespräch im Bundeskriminalamt (BK) in Wien.

Grafik zu abgängigen Personen in Österreich

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Bundeskriminalamt

Überwiegend Minderjährige

„Fast drei Viertel der als vermisst gemeldeten Personen sind Minderjährige, die aus Betreuungseinrichtungen abhauen“, sagte Stefan Mayer, Leiter des Kompetenzzentrums für abgängige Personen (KAP) im BK. Die Abgängigen werden im Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystem (EKIS) gespeichert, nach ihnen wird schengenweit gefahndet. „Wir finden sie fast alle wieder, ungefähr zehn Fälle pro Jahr bleiben ungelöst“, so Mayer.

Dabei handle es sich großteils um Unfälle, etwa auf dem Berg oder in Flüssen und Seen, aber auch um Suizide. Demenzfälle resultierten jährlich in ungefähr 300 Anzeigen, sagte Mayer. Viele der Senioren seien auch „schnell unterwegs, mit dem Zug oder mit einem Auto“. Von den im Vorjahr als vermisst gemeldeten Personen wurden rund hundert tot aufgefunden - darunter zahlreiche Suizide und Unfälle.

Auch Untertauchen aus verschiedenen Gründen

Per 1. Mai waren 521 Erwachsene als vermisst gemeldet. Hier kommt es auch vor, dass Menschen freiwillig verschwinden. Mayer schilderte beispielsweise den Fall eines jungen Mannes, der „unter der Fuchtel seiner dominanten Mutter stand“ und in Großbritannien untertauchte. „Manche gehen weg und kommen erst dann drauf, was es für die Verwandten eigentlich bedeutet“, so der Chefinspektor.

Werden als vermisst gemeldete Erwachsene gefunden, wird ihr Aufenthaltsort nur mit ihrem Einverständnis an die Verwandten weitergegeben. Prinzipiell gilt: „Die Polizei ist verpflichtet, jemanden zu suchen, der abgängig ist“, sagte Mayer. „Dass dafür 24 Stunden vergangen sei müssen, stimmt nicht“, ergänzte sein Kollege Gerhard Brunner.

Die meisten tauchen wieder auf

Von den abgängigen Minderjährigen waren 563 im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, 183 unter 14 Jahre und damit unmündig. Die meisten von ihnen tauchen nach wenigen Tagen wieder auf oder werden gefunden, 90 bis 95 Prozent innerhalb eines Monats. Rund 75 Prozent der Kinder und Jugendlichen waren bereits mehr als dreimal abgängig, einige bis zu 50-mal.

„Ein Bub war bereits hundertmal als vermisst gemeldet“, sagte Brunner. Bei Heimkindern sei oftmals „ein starkes Motiv, dass sie zu den Eltern zurückwollen“, sagte Mayer. Viele hätten auch kein Verständnis dafür, dass sie nicht bei ihren Eltern untergebracht sind, dazu kämen Langeweile und Neugierde, ergänzte Brunner.

Pilotprojekt für Jugendliche

Um die Zahl abgängiger Jugendlicher aus Betreuungseinrichtungen zu reduzieren, startete das BK im Vorjahr das Präventionsprojekt „Heimvorteil“. Fünf Einrichtungen in Wien, Kärnten, Niederösterreich und Oberösterreich wurden ausgewählt, Polizisten arbeiteten dort mit den Pädagogen zusammen und machten Workshops mit den Jugendlichen, um sie zu sensibilisieren.

In drei Einrichtungen - dort, wo mit den zuständigen Betreuern ein vertrauensvoller Kontakt hergestellt wurde und wo die Minderjährigen noch zugänglich waren - wurde die Zahl der Abgängigkeitsanzeigen um bis zu 50 Prozent gesenkt. Im sozialpädagogischen und therapeutischen Zentrum Josefinum in Kärnten gab es sogar eine Reduktion um 80 Prozent, berichtete Brunner.

Die Jugendlichen hätten in den Projekten durchwegs positiv reagiert, viele hatten erstmals Kontakt mit der Polizei, wenn sie „nicht mit erhobenem Zeigefinger kommt“, sagte Brunner. Eine weitere Erkenntnis des Pilotprojekts war, dass bei tatsächlich verhaltensauffälligen Minderjährigen Präventionsarbeit nichts mehr bringt. „Es gibt ein paar hoffnungslose Fälle“, sagte Mayer. An ihnen scheitern oft auch Sozialpädagogen. Das Pilotprojekt habe jedenfalls gut funktioniert, nun soll bis Jahresende ein Plan ausgearbeitet werden, um das Projekt österreichweit auszudehnen.

Das Kompetenzzentrum für abgängige Personen im BK wurde 2013 geschaffen. Es unterstützt ermittelnde Polizisten als internationale und nationale Drehscheibe, ist für Ausbildungen zuständig und sammelt und bereitet Daten auf. In Einzelfällen werden auch Ermittlungen durchgeführt. Rasche Unterstützung gibt es bei der Hotline für vermisste Kinder. Unter der Rufnummer 116-000 wird gratis und rund um die Uhr vertrauliche Hilfe für Jugendliche, die von zu Hause ausgerissen sind, und auch für deren Angehörige und Bezugspersonen geboten.

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