Sozialversicherung: Vier alternative Modelle

Die London School of Economics (LSE) hat eine Studie mit alternativen Strukturmodellen für die österreichischen Sozialversicherungen vorgestellt. Es gibt großes Einsparungspotenzial, die SPÖ präferiert bereits eines der vier Modelle.

Die LSE schlägt in ihrer Effizienzstudie über die Sozialversicherungen vier alternative Modelle für die künftige Struktur vor. Drei davon sehen eine teilweise Zusammenlegung von Trägern vor, eines eine verstärkte Kooperation. Voraussetzung für alle ist aber eine Harmonisierung der unterschiedlichen Leistungen.

Hoher Zufriedenheitsgrad

Studienautor Elias Mossialos stellte bei der Präsentation der mehr als 1.000 Seiten umfassenden Studie gemeinsam mit Sozialminister Alois Stöger und Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (beide SPÖ) klar, dass das österreichische System sehr gut funktioniere und der Zufriedenheitsgrad deutlich höher sei als in anderen Ländern. Es brauche daher „keine Revolution“, sondern vorsichtige, aufeinander aufbauende Veränderungen.

Grafik zeigt eine schematische Darstellung der vier Modelle für die Sozialversicherung

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/London School of Economics

Wichtiger als die Diskussion über die Anzahl der Träger ist nach Ansicht des Wissenschaftlers, die Qualität des Systems weiter zu verbessern. Die Politik müsse sich darauf konzentrieren, dass die Österreicher länger gesund leben. Andernfalls würden die Kosten explodieren. Die Lebenserwartung werde in Österreich zwar bis 2030 um zwei bis 2,5 Jahre steigen, in anderen Ländern aber wesentlich stärker.

Umbauen oder Status quo verbessern?

Für die Struktur der Sozialversicherungen schlägt die LSE vier Modelle vor. Modell eins sieht je einen bundesweiten Träger für die Unfall- und die Pensionsversicherung sowie je einen Krankenversicherungsträger für alle unselbstständig Beschäftigten und einen für die Selbstständigen (SVA und SVB) vor. Modell zwei beinhaltet eine ähnliche Struktur wie Modell eins, allerdings gibt es für die Kranken- und die Unfallversicherung einen eigenen Träger für die öffentlich Bediensteten. In diesem Szenario wäre ein Risikostrukturausgleich zwischen dem Sonderträger für die öffentlich Bediensteten und der Krankenversicherung für unselbstständig Beschäftigte erforderlich.

Hauptverband-Chef im Gespräch

Alexander Biach, Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, nimmt Stellung zu den vier vorgeschlagenen Modellen.

Modell drei sieht einen bundesweiten Träger für die Pensionsversicherung und einen Träger für die Kranken- und die Unfallversicherung vor, der aus neun Landesträgern besteht. Hier könnte es allerdings verfassungsrechtliche Probleme geben, weil nicht zwischen Selbstständigen und Unselbstständigen unterschieden wird. Modell vier würde die derzeitige Struktur beibehalten. Allerdings sollten dabei das System durch mehr Risikostrukturausgleich zwischen den Trägern verbessert und die Koordination zwischen den Trägern durch die Einrichtung gemeinsamer Servicezentren erhöht werden.

Erst Harmonisierung

Mossialos wollte sich nicht auf ein Modell festlegen. „Es gibt nicht die eine richtige Lösung.“ Er stellte aber klar, dass die Harmonisierung der unterschiedlichen Leistungen der Krankenkassen eine Voraussetzung sei. Bevor man über die Struktur der Träger diskutiere, müsse man gleiche Leistungen sicherstellen. Außerdem müsse man das Tarifsystem harmonisieren und auch den niedergelassenen Bereich kodifizieren. Unterschiedliche Systeme könne man nicht einfach zusammenführen, betonte der Wissenschaftler.

Sozialminister Alois Stöger, Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner und Elias Mossialos

APA/Helmut Fohringer

Studienautor Mossialos (r. ) mit Rendi-Wagner und Stöger

Kosten und Nutzen

Berechnet wurden in der Studie auch die Kosten einer Harmonisierung der Leistungen. Wenn die Leistungen auf ein durchschnittliches Niveau „sanft“ harmonisiert würden, dann würde das 171 Millionen Euro kosten. Bei einer Vereinheitlichung der Leistungen nach oben auf 70 Prozent der höchsten werden 390 Millionen Euro angegeben. Diese Kosten könnten aber durch Effizienzsteigerungen wie etwa durch Verlagerungen von Leistungen vom Spital in den niedergelassenen Bereich hereingebracht werden.

Insgesamt kommt die Studie damit bei einer Steigerung der Effizienz auf ein Einsparungspotenzial von 692 Mio. bis 845 Mio. Euro jährlich - und das bei konservativer Schätzung, wie Mossialos betonte. Der Studienautor sagte, dass damit eine Angleichung der Leistungen nach oben sehr gut möglich wäre.

Gegen Selbstbehalte

Selbstbehalte im Gesundheitswesen sind für den Autor der Studie „Steuern für Kranke“. Das System werde damit nicht effizienter, „Kranke werden bestraft“.

Die Studie schlägt eine Begrenzung der Selbstbehalte nach dem Einkommen vor. Menschen mit niedrigem Einkommen sollten maximal 1,5 Prozent davon für Selbstbehalte aufwenden müssen, jene mit mittlerem Einkommen zwei Prozent und jene mit hohem Einkommen nicht mehr als 2,5 Prozent.

Stöger und Rendi-Wagner bevorzugen Modell vier

Sozialminister Stöger und Gesundheitsministerin Rendi-Wagner wollen das vorgeschlagene Modell vier in einem ersten Schritt umsetzen. Stöger begründete das damit, dass es rasch umzusetzen sei. Beide SPÖ-Minister betonten, dass man damit schnell Verbesserungen für die Bevölkerung erreichen und Leistungen harmonisieren könne.

Rendi-Wagner stellte aber auch klar, dass die Anzahl der Träger in der Folge „nicht in Stein gemeißelt“ sei. Jetzt gehe es aber zunächst einmal darum, die Träger zur Zusammenarbeit zu verpflichten, wie das auch Modell vier vorsieht. Dabei müssten auch die Leistungen der Kassen angeglichen und verbessert werden.

Zwischen Zufriedenheit und Kritik

Erwartbar waren die Reaktionen auf die LSE-Studie. Während die bisherigen Kritiker des Sozialversicherungssystems die Studie ablehnen, sieht sich der Hauptverband der Sozialversicherungsträger bestätigt.

Hauptverband-Chef Alexander Biach meinte, die Analyse bestätige den von den Sozialversicherungen eingeschlagenen Weg. Die begonnene Harmonisierung der unterschiedlichen Leistungen müsse fortgesetzt werden, und auch die weitere Bündelung von Aufgaben der einzelnen Träger sei ein Gebot der Stunde.

Nutzen bei „gleich null“

Für die Wirtschaftskammer führt an Reformschritten in Richtung Effizienzsteigerung, Kosteneinsparung und Optimierung kein Weg vorbei. Der Leiter der sozialpolitischen Abteilung, Martin Gleitsmann, betonte, dass zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch lägen. Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, rief ebenfalls dazu auf, Strukturreformen jetzt anzugehen.

Der stellvertretende FPÖ-Bundesobmann Manfred Haimbuchner rief dazu auf, schlanke und effiziente Strukturen zu schaffen. Für NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker ist der Nutzen der LSE-Studie „gleich null“. „Die Vielzahl an Lösungsvarianten ohne klare Handlungsanleitung machen die Studie nur zu weiterer Munition für sozialpartnerschaftliche Grabenkämpfe in Rot und Schwarz“, meinte Loacker.

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