Beratungsstelle Frauenhaus
ORF.at/Birgit Hajek
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Chronik

Zahl der Betretungsverbote gestiegen

Die Zahl der Betretungs- und Annäherungsverbote ist in den vergangenen Jahren österreichweit kontinuierlich gestiegen. Von 2021 auf 2022 wurden um knapp sieben Prozent mehr solcher Maßnahmen verhängt, ein Plus von 13.546 auf 14.462. Das gaben die österreichischen Gewaltschutzzentren am Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien bekannt und machten auf Lücken im österreichischen Recht aufmerksam, die im Sinne des Opferschutzes geschlossen werden sollten.

Marina Sorgo, Vorsitzende des Bundesverbandes der österreichischen Gewaltschutzzentren, sagte, dass sich diese Entwicklung auch analog bei den Kontakten von Betroffenen bei den Gewaltschutzzentren insgesamt beobachten lässt. „Zu uns kommen natürlich nicht nur Menschen, die vorher bei der Polizei waren.“

2021 berieten die Gewaltschutzzentren 22.039 Menschen (Betretungsverbote: 13.546), 2022 waren es 23.648 (Betretungsverbote: 14.462). Etwa 85 Prozent der Gewaltausübenden sind männlich. Bei den verhängten Betretungs- und Annäherungsverboten setzt sich diese Geschlechterverteilung ungefähr fort. 87 bis 88 Prozent dieser Verbote betreffen Männer.

Auch Zeichen einer gestiegenen Sensibilisierung

Die Vorsitzende des Bundesverbandes sagte, der Anstieg der Kontakte und verhängten Verbote sei aus ihrer Sicht nicht Zeichen einer gestiegenen Gewalt, sondern einer gestiegenen Sensibilisierung. Seit ihrer Einführung sei die Zahl der Betretungs- und Annäherungsverbote sukzessive höher geworden.

Als Beispiele dafür nannte Sorgo, dass die Polizei intensiv in der Grundausbildung geschult werde. „Auf der anderen Seite sehen die Menschen, dass es etwas hilft (wenn sie sich an die Behörden oder die zuständigen Stellen wenden, Anm.)“, sagte sie.

Sichtbarkeit der Gewaltschutzzentren als Defizit

Ein Defizit ist der Bundesvorsitzenden zufolge noch immer die Sichtbarkeit der Gewaltschutzzentren. Unter anderem mit einer Corporate Identity will man dem abhelfen: So heißt auch die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie nun Gewaltschutzzentrum und befindet sich ebenfalls unter dem Dach des Bundesverbandes, wie deren interimistische Geschäftsführerin Nicole Krejci erläuterte.

Klingelschild der „Frauenhilfe“
APA/Barbara Gindl
Gewaltschutzzentren sollten leichter als solche erkennbar sein, so die Forderung

„70 bis 80 Prozent der Opfer von Frauenmorden waren vorher nicht bei der Polizei oder bei Opferschutzeinrichtungen“, so Sorgo. Der Bundesverband sieht auch nicht die Gefahr, dass sich Betroffene in einem „Dschungel der Anlaufstellen“ verirren könnten. Betroffene würden weitervermittelt, wenn die Beraterinnen und Berater merken, dass eine andere Stelle für sie geeigneter wäre.

Die Gewaltschutzzentren bemühen sich auch, dass Gesetzeslücken im Opferschutz geschlossen werden. So wollen sie, dass Betroffene von Gewalttaten und deren Vertreterinnen bzw. Vertreter ein Antragsrecht für Weisungen des Gerichts bekommen. Dabei geht es beispielsweise um ein Kontaktverbot für den Täter oder die Auflage, dass er sich einem Alkoholentzug unterziehen muss.

Kostenlose juristische Prozessbegleitung gefordert

Karin Gölly, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Burgenland, wies außerdem darauf hin, dass es im Sinne des Opferschutzes wichtig wäre, auch in Zivilverfahren eine kostenlose juristische Prozessbegleitung für Gewaltbetroffene zu haben, zum Beispiel in Scheidungs- und Obsorgeverfahren oder auch bei der Feststellung des hauptsächlichen Aufenthaltsortes von Kindern.

Gölly forderte darüber hinaus österreichweit standardisierte Tools bei der Risikoeinschätzung von Gefährdern. Dass das bisher nicht so sei, ortete sie als Defizit. Außerdem wäre es aus Sicht der Gewaltschutzzentren wichtig, in Fällen, wenn man schon sehe, dass hier patriarchale Strukturen vorhanden sind oder bei denen es sich um vulnerable Familien handelt, früher Hilfe anzubieten.

„Als Opferschutzeinrichtung stehen wir am Ende der Kette“, erläuterte Sorgo. Oft erfahren die Behörden und Einrichtungen aber deutlich früher von prekären Verhältnissen, etwa durch die Kinder- und Jugendhilfe. Ziel ist, angelernte Verhaltensmuster frühzeitig zu durchbrechen.

Bundeskriminalamt für wissenschaftliche Fundierung

Das Bundeskriminalamt wies zu den Tools zur Risikoeinschätzung darauf hin, dass man seit längerer Zeit die auf dem Markt verfügbaren Produkte evaluiere. „Hierbei ist uns wichtig, dass die Struktur und Arbeitsweise dieses Werkzeuges (auch) wissenschaftlich fundiert ist“, hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme. In Europa würden derzeit viele verschiedene derartige Instrumente zur Gefährdungseinschätzung eingesetzt, die sich voneinander in relevanten Punkten unterscheiden.

„Fakt ist, dass es derzeit kein derartiges Tool gibt, das wissenschaftlich valide den Gegebenheiten in ganz Österreich gerecht wird, sowohl in Hinblick auf die Ausprägungen von häuslicher Gewalt als auch in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen“, so das Bundeskriminalamt. Man werde aber weiterhin vorhandene und neue Tools prüfen, da die Sinnhaftigkeit dieser Unterstützung für Einschreiterinnen und Einschreiter „unbestritten ist“.

Zum Beispiel: Auch das im Bereich der Landespolizeidirektion Wien im Rahmen des GiP-Support (GiP = Gewalt in der Privatsphäre, Anm.) verwendete Tool ODARA (Ontario Domestic Assault Risk Assessment) sei nicht für alle GiP-Konstellationen einsetzbar.