Wirtschaft

Arbeitsmarkt: ‚Stille Reserve‘ meist weiblich

Die „stille Reserve“ auf dem Arbeitsmarkt, also jene Menschen, die zwar grundsätzlich wieder arbeiten wollen, aber momentan nicht aktiv nach einem Job suchen, ist in Österreich überwiegend weiblich. Das zeigt eine am Montag präsentierte SORA-Studie im Auftrag der Arbeiterkammer.

Rund 39.000 Frauen gehörten dieser Gruppe im dritten Quartal 2022 an, zeigt die Studie. „Es handelt sich hier um Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen vom Arbeitsmarkt enttäuscht sind“, sagte Ines Stilling von der AK.

Die Menschen, die der „stillen Reserve“ angehören, werden nicht in den offiziellen Arbeitslosenzahlen erfasst, weil dort nur jene Menschen aufscheinen, die beim AMS gemeldet sind. Sie machten 2022 aber immerhin ein Viertel aller Menschen ohne Arbeit aus. „Wir sehen, dass Arbeitslosigkeit in Österreich systematisch unterschätzt wird“, sagte SORA-Studienautor Daniel Schönherr bei der Pressekonferenz. Die monatlichen Arbeitslosenzahlen seien „eigentlich nur die halbe Wahrheit“.

Im Schnitt jünger als erwerbstätige Frauen

Insgesamt befanden sich im dritten Quartal 2022 71.250 Menschen in der „stillen Reserve“, 38.899 davon waren Frauen. Obwohl die Zahlen quartalsweise schwanken, ist der überwiegende Anteil der Gruppe durchwegs weiblich. Im Schnitt sind diese Frauen jünger als erwerbstätige Frauen und häufig niedrig qualifiziert.

Zuletzt waren sie häufig im Dienstleistungssektor, im Verkauf oder als Hilfskraft beschäftigt. Viele sind Mütter oder Frauen mit Migrationshintergrund. Für jede dritte Mutter ist die Jobsuche aufgrund von Betreuungspflichten nicht möglich.

Interviews deuten auf negative Erfahrungen im Beruf hin

Das SORA-Institut hat die Gründe für die inaktive Arbeitsplatzsuche in zwölf qualitativen Interviews untersucht. Neben der Teilnahme an Aus- und Weiterbildungen wurden etwa Betreuungspflichten oder die Gesundheit genannt. Alle befragten Frauen haben in ihrem bisherigen Berufsleben negative Erfahrungen gemacht.

Sie berichteten von „kleineren und größeren Abwertungen, Diskriminierungen, aber auch sexueller Gewalt“, fasste Schönherr zusammen. Auch geringe Entlohnung, nicht der Qualifikation entsprechende Tätigkeiten, wenige Mitsprachemöglichkeiten, fehlende Aufstiegschancen sowie körperlich und emotional belastende Arbeitsbedingungen hätten zur Abwendung der Frauen vom Arbeitsmarkt geführt.

Die Arbeitslosigkeit werde hingegen oft als eine Auszeit empfunden, in der sich die Frauen auf die körperliche und psychische Genesung oder die Kinderbetreuung konzentrieren können. „Die aktuelle Situation wird also positiv bewertet, während die zurückliegende Erwerbsbiografie zumeist negativ gesehen wird. In allen Fällen ist eine größer werdende Distanz zum Arbeitsmarkt und zur Arbeitswelt erkennbar“, so Schönherr.

Kein passendes AMS-Angebot für Rückkehr?

Diese positive Bewertung sei allerdings zeitlich begrenzt, langfristig würden Aspekte der Existenzsicherung und finanziellen Absicherung überwiegen. Dann würden Frauen aus der „stillen Reserve“ aber nicht mehr beim AMS andocken, weil es dort kein passendes Angebot gebe.

Trotz des derzeit herrschenden Arbeitskräftemangels werde zu wenig getan, um die Frauen in der „stillen Reserve“ wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, so das Resümee. Notwendig sei ein „radikales Umdenken in Betrieben und Politik“, sagte Stilling, die den Bereich Soziales in der AK Wien leitet.

AK: Arbeitsbedingungen als entscheidender Hebel

Demzufolge müssten Betriebe „endlich verstehen, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der entscheidende Hebel ist, um sowohl Beschäftigte zu halten als auch neue Arbeitskräfte zu gewinnen“. Und auch die Politik sei gefordert, jene Menschen, die sich vom Arbeitsmarkt abgewandt haben, in den Fokus zu nehmen.

Die AK fordert deshalb einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 2.000 Euro brutto monatlich in allen Branchen und bessere Beratungs- und Qualifizierungsangebote des AMS, die sich gezielt an die „stille Reserve“ wenden, „ohne Druck auf Vermittlung in den nächsten prekären Job“. Weiters notwendig sei ein Ausbau der Kinderbetreuung, konkret will die AK eine Milliarde Euro mehr pro Jahr investiert sehen. Außerdem pocht die AK auf die Reform des Gesundheits- und Pflegebereichs, damit der Druck auf einzelne Beschäftigte sinkt. Letztlich brauche es eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen insgesamt.