Verfassungsschutz: Islamistenszene wächst

Auch in Österreich gibt es eine radikal-islamistische Szene. Diese sei zwar klein, aber werde zunehmend größer, wie der Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung, Peter Gridling, gegenüber der APA bestätigte.

„Die Szene ist in den letzten Jahre gewachsen“, so Gridling. Ein Anschlag wie jüngst in Toulouse sei schwer zu verhindern. Vor negativen Auswirkungen auf Integrationsbemühungen wegen einer überzogenen Reaktion der Gesellschaft in Österreich warnt der Integrationsexperte Kenan Güngör.

„Das kann ruck, zuck gehen“

Die Gefahr von Terroraktionen sei real, aber derzeit gebe es in Österreich „keine Situation, die eine Annahme von Anschlägen rechtfertigen könnte,“ so der oberste Verfassungsschützer. Bisher bestehe unter den lokalen Dschihadisten eher die Tendenz, ins Ausland zu gehen und sich dem dortigen Kampf anzuschließen oder von hier aus mit Geld zu unterstützen, aber „das kann ruck, zuck gehen, wie Beispiele in Deutschland gezeigt haben“, erklärte Gridling.

20 haben terroristische Ausbildung

Über 20 Personen hätten tatsächlich eine terroristische Ausbildung absolviert oder versucht, ein Terrorcamp in Afghanistan und Pakistan zu besuchen. Diese Personen seien potenziell gefährlich und tatsächlich zum Dschihad bereit, sagte Gridling. Seit 1. Jänner 2011 ist die Teilnahme an solchen Trainings in Österreich verboten.

So konnte der Verfassungsschutz im Juni 2011 vier Terrorverdächtige am Flughafen Wien festnehmen, die auf dem Weg in ein Terrorcamp gewesen sein sollen. „Die Zahl jener, die mit der Ideologie des Dschihad liebäugeln, ist jedoch weit größer“, und bewege sich bei weniger als einem Prozent der Muslime. In Österreich leben laut Islamischer Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) 338.998 Muslime.

Die „einsamen Wölfe“

Sicherheitsexperten in Europa warnen seit den vergangenen Jahren immer wieder vor „einsamen Wölfen“. Das sind Einzeltäter, die sich völlig isoliert radikalisieren und ihre Terroraktionen alleine planen und durchführen. Nach Einschätzung des obersten Terrorismusexperten der EU, Gilles de Kerchove, leben rund 400 dieser von Al-Kaida ausgebildeten „einsame Wölfe“ in der EU. Die meisten würden sich in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, aber auch in Belgien aufhalten.

Gegen diese Einzeltäter präventiv vorzugehen, sei besonders schwierig, bestätigte auch Gridling. „Das sind meist Glücksfälle oder Zufälle, denn wenn die Radikalisierung im eigenen Wohnzimmer durch das Internet stattfindet, ist das schwierig mitzukriegen“, erklärte der Chef des Verfassungsschutzes. Selbst Familienmitglieder würden die Radikalisierung nicht immer mitbekommen, das sei im Fall von Gruppierungen leichter.

Kein typisches Profil

Ein typisches Profil eines Terroristen gibt es laut Gridling nicht. „Die Gründe, warum jemand zum Terroristen wird, sind mannigfaltig“, erklärte er. „Auch bei unserer Szene gibt es alle Formen: Österreicher, die zum Islam konvertieren, Zugezogene und Migranten der zweiten oder dritten Generation,“ so Gridling weiter.

Auch der Islamforscher Rüdiger Lohlker erwartet, dass die radikale Szene in Österreich weiter wachsen wird. Bisher sei sie relativ klein, jedoch offensichtlich „eine sehr attraktive Form der Religion“, erklärte er im Interview mit dem „Standard“ (Freitag-Ausgabe). Es seien häufig Konvertiten, die nach einem klaren, einfachen Islambild suchen würden, so Lohlker. Diesen würden zum Beispiel die Salafisten - eine besonders strenge Strömung des Islam, zu der auch der Attentäter von Toulouse, Mohammed M., Kontakt hatte - klare Regeln für das Handeln vorgeben, die Orientierung in einer unsicheren Welt geben würden.

Jedoch nur Einzelpersonen würden sich dann auch tatsächlich der Gewalt zuwenden, schränkte er ein. „Sie stellen fest: Es ist zwar gut, wenn ich persönlich fromm lebe, aber was ist mit den anderen Muslimen? Die werden doch unterdrückt. Natürlich könnte ich Geld sammeln, aber ein junger Mann sucht Action“, so Lohlker. Diese Wendung sei ein individueller Prozess, der einsetze, wenn es persönliche Krisen gebe, erklärte er weiter.

Warnung vor überzogenen Reaktionen

Vor einer überzogenen Reaktion der Gesellschaft in Österreich nach derartigen Vorfällen wie in Toulouse warnt der Integrationsexperte Kenan Güngör. Es bestehe nämlich die Gefahr, dass die Taten von Einzelpersonen auf eine ganze Migrantengruppe bezogen würden, erklärte er am Freitag gegenüber der APA.

„Wenn die ganze Gruppe der Migranten in Geiselhaft genommen wird, würde sich das Klima verschlechtern, und dies könnte sogar der Radikalisierung Vorschub leisten“, so Güngör, der Integrationsleitbilder für Länder und Kommunen erstellt. Das könne insbesondere bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund passieren, die zum Teil das Gefühl hätten, nicht dazuzugehören.

Tatsächlich sei die Gefahr der Radikalisierung in Österreich aber nicht mit jener in Frankreich zu vergleichen, meinte Güngör. „Wir bemerken, dass die Radikalisierung tendenziell in bestimmten Strömungen passiert bei Menschen mit Hintergrund im arabischen Raum und Nordafrika“, erklärte der Integrationsexperte. Bei Menschen mit einem türkischen Hintergrund, die in Deutschland und Österreich die Mehrheit der Migranten stellen, dagegen seien diese Tendenzen kaum zu beobachten, betonte Güngör.

Judith Egger, APA