20 Jahre Lichtermeer

Die größte Demonstration der Zweiten Republik jährt sich zum 20. Mal. Rund 250.000 bis 300.000 Menschen haben am 23. Jänner 1993 auf dem Wiener Heldenplatz mit dem „Lichtermeer“ gegen Ausländerfeindlichkeit demonstriert.

Mit Kerzen und Fackeln setzten sie unter dem Motto „Anständigkeit zuerst“ ein Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz. Unmittelbarer Anlass war das Ausländervolksbegehren der FPÖ („Österreich zuerst“), die Kundgebung richtete sich aber auch gegen die Asyl- und Zuwanderungspolitik der Großen Koalition.

SOS Mitmensch feiert am Sonntag

Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch feierte das Jubiläum am Sonntag mit einer Matinee im Wiener Volkstheater. Dabei wurden auch die Flüchtlinge in der Votivkirche gewürdigt. SOS Vorsitzende Nadja Lorenz forderte die Politik auf, auf die Flüchtlinge zuzugehen und eine Lösung zu suchen.

Auf der Matinee wurde zudem der Polizist Uwe Sailer mit dem Ute-Bock-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet, weil er zur Aufklärung der Neonaziaktivitäten rund um die Homepage Alpen-Donau-Info beigetragen hat. Sailer habe sich mit dem Verfassungsschutz angelegt und sei dann „beruflich abgestürzt“ und 18 Monate lang suspendiert worden.

Vorbild Großdemos in Deutschland

Vorbild für das Lichtermeer 1993 waren die Großdemonstrationen von Dezember 1992 in Deutschland. Vor allem in Ostdeutschland war es im Spätsommer und Herbst immer wieder zu Übergriffen Rechtsradikaler auf Asylwerberheime gekommen. Breiter Protest regte sich allerdings erst, als Ende November bei Anschlägen auf zwei von türkischen Familien bewohnte Wohnhäuser in Mölln (Schleswig-Holstein) drei Menschen starben. In mehreren deutschen Städten demonstrierten daraufhin Hunderttausende mit Lichterketten gegen die rechtsradikalen Gewalttäter.

Lichtermeer im Jahr 1993

APA/Kurt Keinrath

250.000 bis 300.000 Menschen versammelten sich auf dem Wiener Heldenplatz

Triebfeder des Wiener Lichtermeers war SOS Mitmensch. Die prominent besetzte Plattform hatte sich im Dezember 1992 aus Protest gegen das Ausländervolksbegehren der FPÖ zusammengefunden und die Großdemonstration am Heldenplatz organisiert. Das erste Treffen fand im Haus von Andre Heller statt. Mit dabei waren (neben Heller) Friedrun und Peter Huemer, Willi Resetarits, Josef Haslinger, Helmut Schüller und Rudolf Scholten.

Heller erklärte dazu: "Damals gab es ein paar Bürger, die Lust hatten, sich dem entgegen zu stellen, was sich da an Bewusstseinsverrottung, Menschenverachtung, Niedertracht, Gemeinheit gerade breit gemacht hat. Das war der Geburtsmoment von SOS Mitmensch.“ Dieser Initiative schlossen sich Künstler, Intellektuelle, Gewerkschafter und Kirchenvertreter an.

„Quer durch die Bevölkerung“

„Die Sache ging quer durch die Bevölkerung“ und hätte ohne breite Unterstützung nicht funktioniert, sagte Haslinger. In Österreich habe nach der Rede des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky (SPÖ), der erstmals eine Mitschuld Österreichs an den Nazi-Verbrechen eingestanden hat, und nach dem Fall des Eisernen Vorhanges kurz das Gefühl vorgeherrscht, dass man die Nachkriegsgeschichte bewältigt habe.

Dann seien neue rassistische Töne und eine Welle der Ausländerfeindlichkeit gekommen. Das sei vielen in Österreich zu viel gewesen, schilderte Haslinger die damalige Situation. Seither engagiert sich SOS Mitmensch für die Stärkung von Menschenwürde und gegen Rassismus.

Protest gegen Ausländervolksbegehren

SOS Mitmensch wurde zu einer Menschenrechtsorganisation, die politische Kampagnenarbeit leistet, um die Gleichberechtigung und Chancengleichheit aller Menschen zu fördern. Als größten Erfolg wertete SOS-Sprecher Alexander Pollak, dass eine breite Menschenrechts-Zivilgesellschaft entstanden sei, die sich gegen Rassismus und für die Rechte von Flüchtlingen engagiere. Das sei ein Erfolg des Lichtermeers, von SOS Mitmensch aber auch von anderen Organisationen.

Lichtermeer im Jahr 1993

APA/Ulrich Schnarr

SOS: „Breite Menschenrechts-Zivilgesellschaft entstanden“

Das zwei Tage nach dem Lichtermeer angelaufene Volksbegehren „Österreich zuerst“ wurde mit 416.531 Unterschriften nur zu einem mäßigen Erfolg. Ursprünglich hatte die FPÖ über eine Million Unterschriften angepeilt. Verschärfungen in der Ausländerpolitik folgten dennoch, auch wenn die Hauptforderungen - ein „Zuwanderungsstopp“ und eine Verfassungsbestimmung „Österreich ist kein Einwanderungsland“ - trotz FPÖ-Regierungsbeteiligung nicht umgesetzt wurden.

Die unmittelbaren Konsequenzen waren für die FPÖ jedenfalls unangenehm: Direkt nach dem Volksbegehren spaltete sich das Liberale Forum ab. Der de-facto Rauswurf aus der Liberalen Internationale im Juli 1993 besiegelte die bis heute andauernde internationale Isolation der Partei.

Aufruf zur Zivilcourage

Pollak rief anlässlich des 20-jährigen Bestehens die Menschen zur Zivilcourage auf: „So wie es vor 20 Jahren ein Lichtermeer gebraucht hat, um gegen Ausländerfeindlichkeit und Hetze ein Zeichen zu setzen, braucht es heute ein Meer an Zivilcourage, um unsere Demokratie zu stärken und Menschenrechte zu sichern.“

Haslinger nannte das Lichtermeer „eine Wegmarke“ in der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Der Autor ist überzeugt, dass diese Menschen nicht verschwunden sind, und sich wieder engagieren würden, wenn „das Land in die Hände der Niedertracht“ zu fallen drohe. Huemer meinte, dass man sich engagieren und exponieren müsse und dass Wahlen alleine nicht ausreichen, wenn man in der Gesellschaft etwas verändern wolle. Ob das mit Risiken verbunden sei, definiere den Begriff der Zivilcourage.

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