Kärntens langer Kampf mit seiner Grenze

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Frieden von St. Germain sind vor knapp 100 Jahren die Grenzen des heutigen Österreich gezogen worden. „Universum History“ beschäftigte sich am Dienstag mit den Folgen für Kärnten.

Seit Beginn der Woche werden die Grenzen in Kärnten wieder ausgebaut - an den Grenzübergängen Österreichs zu Italien und Slowenien, von beiden Seiten. Dass die aktuellen Maßnahmen das Zusammenwachsen im Alpen-Adria-Raum erschweren, ist wahrscheinlich.

Kontrollen an der Grenze: der Grenzübergang Lavamünd, im Februar 2016

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Der Grenzübergang Lavamünd im Februar 2016

„Sensibles“ Verhältnis zu Slowenien

Fakt ist, sie halten die Erinnerungen an die dramatische Vergangenheit der Grenzen im Süden Österreichs wach. In keinem anderen österreichischen Bundesland hat die Grenzziehung, die nach dem Ersten Weltkrieg vorgenommen wurde, solche emotionalen Spuren hinterlassen wie in Kärnten. „Das Verhältnis zwischen Kärnten und Slowenien ist aufgrund der Geschichte noch immer sensibel", diagnostiziert der langjährige EU-Diplomat Wolfgang Petritsch, selbst Kärntner Slowene.

„Man fährt zum Essen und zum Trinken in den Süden, aber im Herzen angekommen ist diese Beziehung noch nicht. Das liegt auch daran, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die politischen Systeme in Österreich und Jugoslawien so unterschiedlich waren, dass ein Dialog kaum möglich war“ - ein Dialog, mit dem die Konfliktthemen der Vergangenheit aufgelöst hätten werden können.

Erinnerungen an Zwischenkriegszeit

Nach dem Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie wurden bei der Konferenz von St. Germains die Grenzen der neu gegründeten Republik Österreich festgelegt - auch nach den Gebietsansprüchen von Nachfolgestaaten und Siegermächten. Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen war bereits bis Klagenfurt vorgedrungen und beanspruchte die slowenisch bevölkerten Teile des einstigen Kronlandes Kärnten.

EU-Diplomat Wolfgang Petritsch

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Wolfgang Petritsch erinnert sich

Erst 1920, nach militärischem Widerstand gegen die Besatzer und der Volksabstimmung vom 10. Oktober, wurde die Grenze mit den Karawanken festgelegt. Das Kanaltal wurde Italien, das Miestal und Unterdrauburg dem späteren Jugoslawien zugeschlagen. Südkärnten blieb bei Österreich - die Ansprüche des slawischen Nachbarn sorgten aber für Ängste in der instabilen Ersten Republik und für Misstrauen gegen die Kärntner Slowenen.

Balkan-Feldzug der Nazis und die Folgen

Mit dem Balkan-Feldzug der Deutschen Wehrmacht 1941 wurden die in St. Germain abgetretenen Gebiete Teil des Dritten Reichs. Mit der Besetzung Jugoslawiens begann auch die systematische Verfolgung der Kärntner Slowenen. Viele von ihnen schlossen sich den Partisanen an. Deren Widerstand gegen das NS-Regime sollte später, bei den Staatsvertragsverhandlungen Österreichs, eine wesentliche Rolle spielen.

Einsatz des NS-Polizeiapparats gegen Partisanen in einem Waldlager

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Einsatz des NS-Polizeiapparats gegen Partisanen in der Oberkrain (heutiges Slowenien)

Als das NS-Regime kapitulierte, wurde im Mai 1945 Südkärnten wieder zum militärischen Streitpunkt. Josip Broz Tito, Marschall und dann langjähriger jugoslawischer Staatschef, lässt nicht nur seine Truppen bis Klagenfurt marschieren, sondern erhob wieder Gebietsansprüche auf Teile Kärntens - bis 1949. In Kärnten – wie in ganz Österreich - wurden zwar die Grenzen von 1920 wieder errichtet, doch die Präsenz Jugoslawiens in den Köpfen blieb, zumal es ein kommunistisch regiertes Ostblockland war.

Männer der slowenischen Miliz mit einer Tafel mit der Aufschrift "Republik Slowenien" am 29. Juni 1991.

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Männer der slowenischen Miliz errichten am 29. Juni 1991 auf dem Seebergsattel eine Tafel mit der Aufschrift „Republik Slowenien“

Weil sich der Nachbar als Schutzmacht der Kärntner Slowenen verstand, wurde die angespannte Situation zwischen den Volksgruppen in Kärnten nicht einfacher - und für die österreichische Bundesregierung wurde es ein außenpolitisches Problem. Denn Jugoslawien hätte die Einhaltung des Staatsvertrags, der die Minderheitenrechte unter anderem durch zweisprachige Ortstafeln garantierte, einklagen können.

Der Jugoslawien-Krieg und Schengen

„Es gab eine Achse Tito - Kreisky. Sowohl Tito als auch (Bundeskanzler Bruno, SPÖ, Anm.) Kreisky sind im multiethnischen Raum aufgewachsen. Man hatte den Eindruck, sie sind beide wie alte ‚Habsburger‘", erinnert sich Petritsch.

Ein Panzer des österreichischen Bundesheeres vor dem Karawankentunnel am 6. Juli 1991.

APA/Gert Eggenberger

Ein Panzer des österreichischen Bundesheeres vor dem Karawankentunnel am 6. Juli 1991

Das sorgte für eine gewisse Gemeinsamkeit, und das Verständnis für die Probleme des multiethnischen Zusammenlebens trug dazu bei, dass Tito nicht zum Äußersten ging und die Minderheitenfrage, ähnlich wie das Österreich im Fall der Südtiroler tat, vor die UNO brachte.

Der Jugoslawien-Krieg und Schengen

20 Jahre später gab es erneut Krieg an der Grenze. Slowenien wollte die Unabhängigkeit vom einstigen Bruderstaat. An den Grenzstationen zu Österreich wurde gekämpft, der Posten Lavamünd wurde sogar mit Kampfjets beschossen.

Mit dem Beitritt Sloweniens zur EU und dem Schengener Abkommen 2007 verschwand eine im 20. Jahrhundert durch viele Ereignisse belastete Grenze - wie überall in der Union feierte man auch im Alpen-Adria-Raum die Überwindung der nationalstaatlichen Grenzen durch die Idee eines Europas der Regionen. Vor allem in der Wirtschaft.

Petritsch mahnt Achtsamkeit ein

Heute, fast 100 Jahre nach den Grenzziehungen in St. Germain, scheint diese Vision wieder in die Ferne gerückt. Mit den Bauarbeiten in Thörl-Maglern und beim Karawankentunnel ist die Grenze wieder sicht- und spürbar. Petritschs Bilanz: „Man muss sicher darauf achten, wie diese Grenzkontrollen ablaufen und wahrgenommen werden. Sicher hat die EU enorm positiv auf die Beziehungen, auch im kleinen, zwischenmenschlichen Bereich gewirkt, gerade in diesen vielsprachigen, multikulturellen Gebieten. Das sind Errungenschaften, auf die man nicht verzichten soll.“

Tom Matzek, Redaktion „Universum History“

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