Coronavirus

Studie: Föderalismus war in Krise hinderlich

Die Fragmentierung des heimischen Gesundheitssystems hat eine negative Rolle in der Pandemie gespielt. Zu diesem Schluss kommen die Wiener Gesundheitsökonomen Maria Hofmarcher und Christopher Singhuber. Vor allem beim Contact-Tracing ergaben sich dadurch große Probleme.

„Während in den ersten Phasen der Pandemie 2020 fast ausschließlich die (…) Regierung aus ÖVP und Grünen die Maßnahmen zur Eindämmung vorschlug, lenkte und kommunizierte, waren ab Herbst 2020 zunehmend Politiker aus den Bundesländern eingebunden“, heißt es in der Studie mit dem Titel „Föderalismus im Gesundheitswesen – Schwächen des Covid-19-Krisenmanagements“ der Expertin und des Experten von der Austrian Health Academy (AHA).

„Das betraf sowohl die Bereitstellung von Tests als auch die Detailplanung zur Impfung. Im Sommer 2020 sorgte der Bund mit dem Covid-19-Zuschussgesetz dafür, dass die Länder aus dem Krisenbewältigungsfonds Mittel abrufen können, die sie brauchen, um notwendige Schutz-, Test- und Behandlungskapazität vorzuhalten.“

Verzögerungen bei Contact-Tracing

Aus der Entwicklung ergab sich nach Meinung der Ökonomen folgende Konsequenz: „Die Regionalisierung des Covid-19-Krisenmanagements führte im Herbst 2020 zu erheblichen Verzögerungen in der Umsetzung der Kontaktnachverfolgung und zu unterschiedlichen Impfstrategien in den Bundesländern. (…)“

Und weiter: „Der Zusammenbruch der Kontaktnachverfolgung in Österreich bei gleichzeitig steigender Anzahl an Infektionen führte Ende November 2020 zu einem neuerlichen harten Lockdown. Die Aufklärungsquote ist von 65 Prozent der neu identifizierten Fälle auf 19 Prozent Mitte November gefallen und bis Jahresende vollkommen zusammengebrochen. Bereits im Juni 2020 hat der Bund zugesichert, dass er sämtliche Kosten für Aufbau der Kontaktrückverfolgung in vollem Umfang abgelten wird.“

Trotzdem sei es – je nach Bundesland – zu einem teilweisen, in einem Fall sogar mehrfachen Versagen gekommen. Die Analyse: „Während Wien rascher die Kontaktverfolgung aufgebaut hat, war in Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark der Ausbau auch nach einem halben Jahr Vorbereitungszeit nicht adäquat fortgeschritten. In diesen drei Bundesländern konnten zu diesem Zeitpunkt weniger als 14 Prozent der Fälle rückverfolgt werden. Ende März 2021 ist das System Oberösterreichs einmal mehr zusammengebrochen, die Aufklärungsquote betrug nur 22 Prozent, bundesweit waren es 50 Prozent.“

Die Autoren entlassen aber auch Bundesregierung und Bundesverwaltung nicht aus der Verantwortung: „Obwohl das Epidemiegesetz über den Hebel der mittelbaren Bundesverwaltung (Art. 142 Abs. 2 lit. e B-VG, Anm.) dem Bund weitgehende Durchgriffsrechte gegenüber den Ländern und Gemeinden einräumt, verzichtete die Regierung (…) zugunsten von mehr Steuerungsspielraum für die Bundesländer.“

Institutionen nicht ausreichend genützt

Auch das Gesundheitsministerium hätte dabei eine Rolle gespielt. Die Coronavirus-Krise fordere jedenfalls den Föderalismus heraus, dessen Institutionen, z. B. die Bundesgesundheitskommission, seien nicht ausreichend genützt worden, obwohl sie zur Kooperation der Verwaltungsebenen geschaffen wurden.

Möglicherweise schlägt aber auch in diesen Belangen die Art und Weise zu Buche, wie in Österreich Steuern erbracht werden und die Gelder im Gesundheitswesen fließen. Der Bericht: „Bei praktisch keiner bestehenden Steuerautonomie geben die Länder insgesamt 17 Prozent oder 32 Mrd. Euro (an öffentlichen Mitteln) aus, die Gemeinden 16 Prozent oder 30 Mrd. Euro. 68 Prozent wurden vom Bund und den Sozialversicherungsträgern ausgegeben.“ Hingegen würden in Österreich 51 Prozent der Gesundheitsaufwendungen auf föderaler Ebene, also durch Bundesländer und Gemeinden, erfolgen.

„Krankheit und Tod hätten verhindert werden können“

Die Autoren sehen Positiva und Negativa im österreichischen System. Das gilt auch für den internationalen Vergleich: „Österreichs Allokationsproblem im Gesundheitswesen mit seiner großzügigen Ausstattung in der stationären Versorgung hat in Zeiten von Corona zur allgemeinen Beruhigung beigetragen. Auffällig ist, dass Länder, deren Gesundheitssystem überwiegend steuerfinanziert ist, wie beispielsweise Italien und Spanien über relativ wenig Intensiv(betten)kapazität verfügen.“ Sie seien in der Pandemie schneller an ihre Grenzen gestoßen.

Insgesamt sei Österreichs Krisenmanagement „solide“, aber nicht „herausragend“ gewesen, schrieben die Wissenschaftler. Im Vergleich zum EU-Durchschnitt plus Großbritannien habe Österreich eine unterdurchschnittliche Covid-19-Mortalität aufgewiesen. In Deutschland gab es etwas weniger, in Frankreich deutlich mehr Todesfälle. Jedenfalls: „Das Beispiel Österreich zeigt, dass bessere Steuerung im Föderalismus zumindest ab Herbst 2020 öfter Krankheit und Tod verhindert hätte.“ Die Föderalismusfrage im österreichischen Gesundheitswesen wird damit wohl weiterhin auf der Tagesordnung stehen.